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Abbildung des Werks "Steinbruch Ostermundigen" von Paul Klee

Paul Klee, Steinbruch Ostermundigen, 1909, 60, The Museum of Modern Art, New York

Reise nach Italien, 1901/02 und Folgezeit in Bern

Bereits als 22jähriger Kunststudent interessiert sich Klee stark für bildnerische Konstruktionen. Nach seiner Reise durch Italien 1901/02, auf der er vielen antiken Bauwerken begegnet ist, notiert Klee in sein Tagebuch, dass er nun das Architektonische bzw. Konstruktive der bildenden Kunst begriffen habe. Seine künstlerischen Bemühungen um den Aufbau eines Bildes im Kontext des Poetischen erweitern sich um den Aspekt des Konstruktiven. Überall gebe es Linienrhythmen, Flächenrhythmen.

Nächstes und zugleich fernstes Ziel wird nun sein architektonische und dichterische Malerei in Einklang oder doch in Zusammenklang zu bringen (Tgb. III 1902, Nr. 429).

Insbesondere durch das Studium des Proportions- und Zahlenkanons der klassischen Bauten findet Klee folgendes:

Das Formprincip reiner ausgedrückt als in anderen Kunstwerken. Die leicht erkennbare Gliederung ihrer Form, ihr exacter Organismus vermag gründlicher zu bilden, als alle Kopf-, Akt- und Kompositionsversuche (...) Dass diese Zahlen nichts Kaltes bedeuten, sondern Leben atmen, ist ebenso klar. Und die Bedeutung der Ermessungen als Hilfsmittel beim Studium und beim Schaffen offenbart sich (Tgb. III 1903, Nr. 536)

Klee macht sich neopythagoreische Weltauffassung zu eigen und findet das auch in der Musik bestätigt. Man kann dem jungen Künstler noch eine regelrechte Zahlenbesessenheit attestieren. Regelmässige besucht er auch den Steinbruch in Ostermundigen. Hier liegt die produktiv-rezeptive Grundidee einer seiner Beiträge zur bildnerischen Formlehre begründet, wonach ein Werk entweder Stein auf Stein (Addition) oder Stück von Stück Subtraktion) wird.

Wohnen in Bern und München, 1906-20:

Durch die Auseinandersetzung mit Einfühlungsästhetik (Worringer),  Transzendentalphänomenologie (Husserl) und kubistisch geprägtem Orphismus (Delaunay) entwickelt Klee einen eigenen Weg von der rein sehenden zur schauenden Malerei. Statt Imitation wird Rhythmik beschworen als Zusammenklang von Punkt, Linie und Fläche. Das allein sind die Bausteine zum Bild. Es entstehen Kompositionen der Berner Altstadt und der Bezirke Münchens mit Feder, Tusche und Aquarell in freifliessenden Umrissen. Diese Blätter kommen jeweils einer urbanen Partitur gleich, wo die Improvisation noch mehr baut als der fokussierende Blick. In der Folgezeit türmen sich graphische Zeichen und schraffierte Flächen auf zu einer Architektur als visuelle Metapher eines Gedankengebäudes und kindlichen Architekturtraums (1918, 136).

Im Umfeld dadaistisch-futuristischer Strömungen hat Klee den Grossstadtlärm sichtbar gemacht. Solch urbane Sinfonie aus Plätzen, Strassenzügen, Fassadenreihen, Arkaden, Brückenbögen, Treppen etc. liefert unendliche Geschichten und unerhörte Impulse. Für sich und seine Betrachter schafft Klee einen Bildraum, den man mit aufmerksamem Blick durchstreift wie ein Flaneur die Metropole. Die Unterlage mit dem graphischen Verfahren und malerischen Vorgehen darauf (Bildraum) wird zum rauschenden Hintergrund eines „Grossstadterlebnisses“ (Denkraum). Im Unterschied zum Dandy (Baudelaire) benutzt der Flaneur (Benjamin) das urbane Gelände nicht zur Repräsentation für Selbstdarstellung und Eigensinn, es dient ihm vielmehr als Erkenntnisinstrument und leibphänomenologische Erfahrung. Die Strasse und der Marktplatz werden wieder kognitive Stationen (Sokrates) und „Denkmäler“.

Abbildung des Werks "Kindlicher Architektur Traum" von Paul Klee

Paul Klee, Kindlicher Architektur Traum, 1918, 136, Muzeum Narodowe, Warschau

Reisen in den Orient

Tunesien, 1914; Sizilien, 1924; Ägypten, 1928/29 
Auf seiner Reise nach Tunesien entdeckt Klee für sich, das Quadrat bzw. den Kubus als Grundelement orientalischer Baukunst und führt dies zur Synthese seiner Städtebauarchitektur-Bildarchitektur "(…) Noch nicht rein, aber ganz reizvoll (…) Das wird später schon noch sachlicher werden, wenn der schöne Rausch etwas verrauchen wird." (Tgb. III, 1914, Nr. 926f). Tatsächlich wird das Rechteck oder der rechteckige Streifen zum Grundstück sämtlicher Einfälle: es ist die Bühne, das Beet, der Baustein, der Grabstein und dergleichen mehr. Klee wird buchstäblich zum „Architekten“ als eines Baumeisters (tekton) kreativen Beginnens (arché). Er schafft und erfindet Orte in kultischer, mythischer, phantastischer oder konstruktiver Hinsicht gleichermassen. Jedes Bild ist Behausung imaginärer Welten, worin alles auf ernst-heitere Weise ineinander dringt und durcheinander kommt.

Auf Sizilien erweitern stilisierende Häuserlandschaften in arabo-normannischem Raum das Fabulieren in Bildern. Zugleich vermag Klee auch das Motiv der „Gartenarchitektur“ und das Thema vom „Haus im Park“ fortzusetzen. Hiervon hat er sich schon anregen lassen seit seinem Wohnsitz im Münchener Schlösschen Suresnes und seit seiner Wohnlage unweit von Goethes Häuschen im Park an der Ilm in Weimar.

Abbildung des Werks "Raumarchitektur mit der gelben Pyramide" von Paul Klee

Paul Klee, Raumarchitektur mit der gelben Pyramide, 1915, 87, Kunsthaus, Zug

Bauhaus

Das „neue Bauen“ der Architekten wird zum „neuen Bilden“ des Künstlers, der den Bildaufbau mit dem Hausbau vergleicht sowie den Bild- und Stadtorganismus gleichermassen untersucht. So wird beispielsweise das Bild eine Wand, weil sich Farbfelder an Farbfelder reihen wie die Elemente eines Mauerwerks. Oder es gewinnt schwebenden Raumcharakter durch verspannte Flächen und überlagerte Schichten, der sich auch jenseits linearperspektivischer Wirklichkeit zu modellieren versteht und von verschiedenen Titulierungen „heimgesucht“ wird (jetzt einmal im besten Sinn des Wortes).

Architektur ist bei Klee nicht nur ein prominentes Sujet (Motiv), sondern erscheint als eine Art Paradigma seines bildnerischen Verfahrens überhaupt (Motivation). Aber das teilt sie mit anderen Forschungsfeldern, z.B. Mechanik, Botanik, Anatomie, Organismus, Optik.

Abbildung des Werks "Scheidung Abends" von Paul Klee

Paul Klee, Scheidung Abends, 1922, 79, Zentrum Paul Klee, Bern